Die Tatsache, dass Schreiben eine szenische Dimension entwickeln kann und dass öffentliche Dichterlesungen eine besondere Art von Dramaturgie erfordern, war mir schon früh klar, wahrscheinlich weil ich dank der Schauspielkarriere meines Vaters mit Theaterproben und Premieren aufgewachsen bin. Neben der Teilnahme an internationalen Festivals, auf denen ich als Autor meine Gedichte vortrage, habe ich lange Zeit als künstlerische Leiterin von Literaturveranstaltungen in Chile und Deutschland gearbeitet.
A
Im Jahr 2009 konzipierte und leitete ich eine Reihe von performativen Lesungen in Santiago, Chile, in einem dynamischen Raum namens Estudio Elefante. In dieser Veranstaltungsreihe, die ich La fertilidad de algunos muertos ("Die Fruchtbarkeit einiger Verstorbener") nannte, huldigten junge Dichter den verstorbenen Dichtern. Jede Veranstaltung konzentrierte sich darauf, das Werk neuer Dichter mit dem eines oder mehrerer verstorbener Dichter in einen Dialog zu bringen, unabhängig von Sprache oder Land. Die performativen Lesungen beleuchteten die Themen literarischer Einfluss und Übersetzung. Die Dramaturgie, zu der auch Live-Musik gehörte, betonte das Multidisziplinäre. Es wurde Dichtern wie Paul Celan, William Blake, Allen Ginsberg und anderen gehuldigt. Chilenische Dichter:innen wie Javier Bello, Alejandra del Río, Carmen García und andere nahmen teil.
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Nach mehreren Jahren des Nomadentums habe ich 2015 in Hamburg das internationale Autor:innenkollektiv Found in Translation (bestehend aus Nefeli Kavouras, Hugh James, Jonis Hartmann, Annika Dörau und anderen) mitbegründet. Die Plattform des Kollektivs für literarischen Aktivismus war die Hafenlesung: eine mehrsprachige und oft auch multidisziplinäre Lesereihe, die in Hamburg ein neues, meist junges Publikum für internationale zeitgenössische Literatur erschloss. Das Programm förderte die Heterogenität und präsentierte Autor:innen aus einem breiten Spektrum von Genres, Identitäten und Generationen. Mit dem Schwerpunkt auf Mehrsprachigkeit wurden bei jeder Veranstaltung Werke in vier bis fünf verschiedenen Sprachen präsentiert (wenn nicht auf Deutsch, auch mit der Übersetzung). Unser Kollektiv Found in Translation hat diese Lesereihe als Plattform entwickelt, um die kulturelle Vielfalt Hamburgs zu repräsentieren und zu kultivieren, einer Hafenstadt, die seit Jahrhunderten ein Ort ist, an dem sich viele Sprachen und Kulturen überschneiden. Die Hafenlesung war somit ein Ort der Resonanz für Literatur, die in Deutschland in anderen Sprachen als Deutsch geschrieben wurde, wobei die Übersetzung als wichtiger kultureller Prozess hervorgehoben und versucht wurde, das Konzept der "Nationalliteratur" neu zu definieren.
Die Hafenlesung organisierte Lesungen in Zusammenarbeit mit deutschen unabhängigen Verlagen wie dem Verlagshaus Berlin, Kookbooks, Edition Nautilus und dem Salis Verlag. Die Hafenlesung organisierte auch Veranstaltungen in Zusammenarbeit mit Institutionen wie dem Berliner Künstlerprogramm des DAAD, dem Festival LATINALE, dem Cervantes-Institut Hamburg und dem Literaturzentrum Burg-Hülshoff. Wir haben auch neue, eigens für unsere Veranstaltungen in Auftrag gegebene deutsche Übersetzungen der Werke ausländischer, in Deutschland ansässiger Dichter uraufgeführt, deren Lyrik bis dahin nicht auf Deutsch verfügbar war (wie Rita González Hesaynes, Luis Varela und andere). Wir legten auch Wert darauf, dass die Übersetzer, wann immer möglich, neben den Autoren auf der Bühne lasen. Darüber hinaus wurde bei jeder Veranstaltung kostenlos ein köstliches veganes Catering serviert, das für eine gute Atmosphäre sorgte und Publikum und Künstler zusammenbrachte.
Autor:innen aus mehr als 30 Ländern und 20 Sprachen nahmen an der Hafenlesung teil. Unsere Veranstaltungsorte waren zunächst das Club und alternative Kulturzentrum Golem und später das Nachtasyl am Thalia Theater in Hamburg. Im Jahr 2017 brachte unser Kollektiv das Konzept der Hafenlesung durch eine performative Lesung im Rahmen des internationalen Literaturfestivals BuchBasel ein. 2018 wurde die Hafenlesung Teil der Unabhängigen Lesereihen, zu deren Vorstandsmitglied ich später gewählt wurde. Im Jahr 2019 nahm die Hafenlesung an ULF - Das Festival der Unabhängigen Lesereihen (aus Deutschland, Österreich und der Schweiz) teil. In den Jahren 2015-22 wurde die Hafenlesung von der Behörde für Kultur und Medien Hamburg, der Hamburgischen Kulturstiftung, dem Slowenischen Kulturzentrum Berlin, dem Hamburger Writers' Room, dem DAAD und Frau Annegret Weitkämper-Krug unterstützt.
Links über die Hafenlesung:
Found in Translation Autorenkollektiv, Facebook-Seite:
www.facebook.com/foundintrans
Auf der Website von Unabhängige Lesereihen:
https://www.lesereihen.org/reihen-hafenlesung
Hafen Lesung im Burg-Hülshoff-Literaturzentrum, Münster:
http://www.burg-huelshoff.de/blog/hafen-lesung
Hafen Lesung in der Zeitschrift UNISCENE, Deutschland:
https://issuu.com/uniscene/docs/uniscene_hamburg_4-2016
Stéphanie Divaret über Hafen Lesung in BuchBasel, in FixPoetry:
https://www.fixpoetry.com/feuilleton/kolumnen/2017/hafenlesung-in-basel
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Als Mitglied des internationalen Autor:innenkollektivs Found in Translation habe ich 2021 Westopia, Festival für eine mehrsprachige Literatur der Zukunft im Center for Literature Burg Hülshoff (Münster) mitorganisiert. Das Festival wurde von unserem Autor:innenkollektiv und Jörg Albrecht, dem künstlerischen Leiter des Center for Literature Burg Hülshoff, kuratiert.
Fünf Tage lang, im September 2021, organisierte das Westopia Festival Lesungen, Performances, Workshops und Debatten. Indem wir uns austauschten, diskutierten und schufen, versuchten wir, eine imaginäre Nation (a “State of Mind”) zu entwerfen, die den Fragen und Unterdrückungen, mit denen wir als ausländische Autor:innen, die in Deutschland in anderen Sprachen als Deutsch schreiben, konfrontiert sind, Resonanz und Relevanz verleihen würde.
Auf meinen Vorschlag hin wurde die Dramaturgie des Festivals um eine Auswahl von Einträgen aus einem meiner Lieblingswörterbücher aufgebaut: dem Dictionary of Untranslatables (herausgegeben von Barbara Cassin, Emily Apter et al). Die Themen und ihre Beschreibung lauteten wie folgt:
- DOXA: Wer denkt was? Wer wird nicht gesehen, wer wird gehört, wer wird ausgeschlossen?
- TRADUIRE: Was geht bei der Übersetzung verloren, was wird gefunden, wie übersetzen wir physische und emotionale Aspekte sowie die Mündlichkeit, was wäre ein unübersetzbarer Text?
- AUFHEBUNG: Wer weiß, wie das Ergebnis aussehen wird? Welche Zukunft wird aus unserer Erinnerung erwachsen? Wie unterschiedlich sind die Lernkulturen in Ost- und Westeuropa? Können Erinnerungskulturen aus verschiedenen Regionen der Welt voneinander lernen?
- DESENGAÑO: Kann Kunst mit der Kraft der (Ent-)Täuschung und der Magie der Worte Ungerechtigkeiten entgegenwirken? Wie kann man über das sprechen, worüber fast alle schweigen: Klassenunterschiede?
- CONSENSUS: Was bedeuten Sexualität und Sexismus im literarischen Kontext? Wer tritt in den Vordergrund, wer bleibt auf der Strecke?
- COMMON SENSE: Wie kann Literatur inklusiv sein? Was bedeutet es, blind zu sein und zu schreiben?
An Westopia nahmen Verena Brakonier & Greta Granderath Çakey Blond (Thomas Bartling & David Kilinç), Belo Cipriani, Andrés Claro, ConstructLab, Fitzgerald & Rimini, KAJET Journal, KUOKO, Michaela Melián, Alia Trabucco, Zweitzeugen e.V., WORD Magazin, und viele mehr teil.
Links über Westopia:
Auf der Website des Literaturzentrums, Burg Hülshoff:
https://www.burg-huelshoff.de/programm/kalender/westopia
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Im Jahr 2022 schlug ich Katharina Schultens, der Leiterin des Hauses für Poesie, das Projekt Vocations vor, konzipiert als Erkundung von Fragen wie "Was kann ein Lied heute bedeuten?", "Wie kann die europäische Kunstliedtradition aus einer jungen, internationalen Perspektive und von Künstlern, die an den Grenzen von Poesie und Musik arbeiten, neu konzipiert werden?" zu untersuchen. Das Projekt, das gemeinsam mit Katharina Schultens als Zusammenarbeit zwischen dem Haus für Poesie, der Jünge Akademie der Künste und Schloss Wiepersdorf neu konzipiert wurde, wurde großzügig vom Berliner Kultursenat gefördert. Der andere Leiter des Projekts, der für die Produktion verantwortlich war, war der großartige Timo Berger. Während des Jahres 2023 schufen Teams von speziell ausgewählten Dichtern, Komponisten und Musikern gemeinsam neue Werke. Vocations etablierte zwei parallele Veranstaltungsreihen: Salons und Premierenkonzerte.
Mit dem Ziel, einen verbindenden Raum in Berlin zu schaffen, der einen transdisziplinären Dialog zwischen der zeitgenössischen künstlerischen Produktion der neuen Poesie und der neuen Musik ermöglicht, initiierte Vocations eine Reihe von Salons, die Komponisten, Dichter, Kritiker und Studenten der Literatur, der Komposition, des Klaviers und des Gesangs sowie andere Liebhaber von Poesie und Musik zusammenbrachten. Durch Lesungen, Aufführungen und musikalische Darbietungen, die ein breites Spektrum möglicher Fusionen zwischen Poesie und Musik aufzeigten, boten diese Salons einen Ort und einen Moment der Verbindung für Dichter und Komponisten, um sich gegenseitig bewusst zu machen, was heute in Berlin geschrieben und komponiert wird. Unsere Motivation war die Gewissheit, dass die Beziehung und die gegenseitige Aktualisierung zwischen den heutigen Dichter- und Komponistengemeinschaften einen großen positiven Einfluss auf beide Arten von Schöpfern haben würde und dass Berlin der richtige Ort war, um dies zu ermöglichen.
Die Salons der Berufe wurden durch das klassische griechische Konzept des Symposiums und auch durch das soziale Phänomen der "Schubertiade" inspiriert, das aus der Salonkultur des 19. Jahrhunderts hervorgegangen ist. Im Einklang mit der Absicht des Projekts, das Genre des Kunstlieds neu zu konzipieren, bezog sich unser Projekt auf Schubert nicht nur als Komponist, sondern auch als entscheidende kulturelle Figur im Zusammenhang mit dem Salonformat. Ohne diesen ikonischen Komponisten wäre das Kunstlied-Genre nicht denkbar. Schubert komponierte seine Lieder auf Texte von Dichtern, die seine Zeitgenossen waren, Dichter, die er dank der damals lebendigen Salonkultur persönlich kennenlernen konnte. Jahrhunderte sind vergangen; die musikalische Gattung des Kunstliedes hat überlebt, aber ihr Dialog mit der zeitgenössischen Poesie hat sich abgeschwächt. In Berlin trafen sich Komponisten und Dichter immer wieder in literarischen Salons und Soirées, wo sie gemeinsam Werke schufen und über ihr Schaffen diskutierten. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden diese Räume der künstlerischen Zusammenarbeit, insbesondere in der Tradition des Kunstliedes, unterbrochen und nur in Einzelfällen wieder aufgenommen. Unserer Meinung nach bietet die internationale Zusammensetzung des heutigen Berlins ideale Bedingungen für die Entwicklung einer Veranstaltungsreihe, die Komponisten und Dichter aus einer Vielzahl von Traditionen und Sprachen zusammenbringen kann, damit sie gemeinsam neue Werke schaffen und aufführen können, die die Verschmelzung von Poesie und gelehrter Musik neu beleuchten und aktualisieren.
Das Salonformat Vocations ist als offener Raum konzipiert und integriert überraschende Auftritte von Schriftstellern, Komponisten und Musikern aus der Berliner Szene im Rahmen eines von mir sorgfältig kuratierten Programms. Mit Unterstützung der Jungen Akademie der Künste organisierte Vocations zwei Salons im Clubraum der Akademie der Künste (Hanseatenweg), in denen Werke von ADK-geförderten Komponisten (u.a. Aribert Reimann, Luciano Berio und Georges Aperghis) und jungen Künstlern, die an dem Projekt teilnahmen, aufgeführt wurden. Mit dem Ziel, die Salons als offenen Raum für spontane künstlerische Zusammenarbeit und transdisziplinäre künstlerische Experimente zu erhalten, entwickelte unser Team dieses Salonformat als "work in progress" und berücksichtigte dabei stets die Vorschläge der teilnehmenden Künstler. Die Vocations Salons präsentierten eine breite Palette von Kombinationsmöglichkeiten zwischen Text und Musik, von Arrangements von Gedichtliedern von Komponisten, die heute als Klassiker der Moderne gelten können, bis hin zu experimentellen Fusionen und Kollisionen von Poesie mit populärer Musik und Volksliedern, vorgetragen von jungen Dichtern und Musikern. In dem Bestreben, die multikulturelle und mehrsprachige Dimension der heutigen Berliner Kunstszene zu repräsentieren und zu kultivieren, waren in jedem unserer Salons mindestens 5 verschiedene Sprachen vertreten, wobei die Gedichte oft in der (nicht-deutschen) Originalsprache zusammen mit ihrer Übersetzung gelesen wurden. Beide Salons wurden von einer wunderbaren und lustigen professionellen Moderatorin, der Drag Queen Audrey Naline, geleitet, deren Offenheit und Verspieltheit den Veranstaltungen einen Hauch von Kabarett verlieh. Jeder Salon zog ein Publikum von 150 oder mehr Personen an.
Beim ersten Salon am 23.10.09 traten die Dichter und Komponisten Avrina Prabala-Joslin (geb. 1992 in Tamil Nadu) und Sol-i So (geb. 1990 in Südkorea) sowie VictorPiano (geb. 1991 in Chile) und Felipe Sáez Riquelme (geb. 1986 in Chile) auf, die parallel dazu neue experimentelle Kunstlieder entwickelten, die dann Ende Oktober im Heimathafen Neukölln uraufgeführt wurden. Die Komponistin und Sängerin Sol-i So führte Pansori Simcheongga auf, ein Lied aus der koreanischen Musiktradition, begleitet von dem Perkussionisten Bo-Sung Kim. Die Dichter Avrina Prabala-Joslin und Felipe Sáez Riquelme gaben eine gemeinsame Leseperformance mit elektroakustischen Interventionen und der Multimedia-Komponist VictorPiano sang eine Auswahl lateinamerikanischer Volkslieder. Im Rahmen unserer Zusammenarbeit mit der ADK wurden im Rahmen des Salons auch Werke von Mitgliedern der Akademie der Künste aufgeführt: und Sequenza III des italienischen Komponisten Luciano Berio (gesungen von Svetlana Mamresheva) und Retrouvailles (2013) des griechisch-französischen Komponisten Georges Aperghis (aufgeführt von Cécile Madelin und Marine Madelin). Darüber hinaus bot der Salon als Zeichen unseres offenen Formats überraschende Lesungen und musikalische Darbietungen von den Dichtern Max Czollek, Kinga Toth, Matias Dungascik und Odile Kennel, den Sängern Andrew Munn und Merit Ariane Stephanos, dem Pianisten Jacob Greenberg und vielen anderen.
Der zweite Salon am 16.11.23 bot Auftritte und Lesungen des zweiten Teams von Künstlern, die an Vocations teilnehmen: Cia Rinne, Catalina Rueda und Nail Doğan, deren neue experimentelle Kunstlieder, die in künstlerischer Zusammenarbeit entstanden sind, dann im Dezember uraufgeführt wurden. Die Dichterin Cia Rinne sang in Begleitung von Daniel Roth am Harmonium. Die Komponistin Catalina Rueda lud das Publikum zu einer partizipativen Gesangsperformance ein. Der Autor Nail Doğan las eine dramaturgische Sequenz von Gedichten, die speziell für diesen Anlass geschrieben wurden, im Dialog mit der Oud-Musik, die von dem talentierten blinden Musiker Hicham El Madkouri gespielt wurde. Im Rahmen unserer Zusammenarbeit mit der ADK präsentierte der Salon Aribert Reimanns Eingedunkelt (nach Gedichten von Paul Celan), vorgetragen von Ursula Hesse von den Steinen. Andrew Munn sang Bearbeitungen von Liedern von Hans Eisler auf Gedichte von Bertolt Brecht, begleitet von Marlene Weiss am Klavier. Die Singer-Songwriterin Susie Asado erweiterte das Spektrum der Darbietungen, die Text und Musik vereinen. Sie sang minimalistische Lieder, die mit den Grenzen zwischen populärer Musik und Poesie spielten. Die Veranstaltung bestand einmal mehr auf dem Format der Salons als offenem Raum und bot überraschende Lesungen und musikalische Darbietungen der Dichter Donna Stonecipher, Hn Lyonga, Irina Bondas, Eugene Ostashevsky und Ricardo Domeneck, der Sänger Clarisse Fougera und Monika Krukierek und anderer.
Bei den Premierenkonzerten von Vocations wurden Werke von Dichtern und Komponisten uraufgeführt, die speziell für das Projekt in Auftrag gegeben wurden. Im Rahmen einer Kooperation zwischen dem Haus für Poesie und der Kulturstiftung Schloss Wiepersdorf trafen sich die teilnehmenden Künstler während eines Künstleraufenthalts auf Schloss Wiepersdorf (Brandenburg), wo sie begannen, die künstlerische Produktion des jeweils anderen zu erkunden. Es folgte eine monatelange Korrespondenz und Zusammenarbeit. Wie für das Genre des Kunstliedes charakteristisch, kombinierten die Werke, die bei den Konzerten am Ende des Jahres uraufgeführt werden sollten, Poesie und Musik. Das Besondere an unserem Projekt ist, dass diese Werke von Anfang an transdisziplinär konzipiert wurden, d.h. ohne einen vorher existierenden Text. Diese Herangehensweise an die Tradition des Kunstliedes, bei der es sich nicht um eine musikalische Bearbeitung eines vorhergehenden Textes handelt, sondern um eine besondere Form der Ko-Kreation, war ein charakteristischer Vorschlag von Vocations. Die Uraufführungen fanden im Heimathafen Neukölln am 26.10. und 21.12.2023 statt.
Als künstlerische Leiter von Vocations habe ich die teilnehmenden Dichter- und Komponist:innen entsprechend ihrer künstlerischen Affinität und Sprachgemeinschaft zusammengebracht. Die Interpreten für die Uraufführungen der Auftragswerke wurden von den Komponisten selbst ausgewählt: Sol-i So und Avrina Prabala-Joslin wählten die Sopranistin Angelica Luz und die Perkussionistin Rie Watanabe für die Weltpremiere ihres gemeinsamen Werks "With you, I learned to plant a poem, grow a song" am 26.10.2023. Das Gemeinschaftswerk "Animita" von VictorPiano und Felipe Sáez Riquelme wird, ebenfalls am 26.10., vom Komponisten selbst uraufgeführt, der zusammen mit dem Tenor Francisco Huerta live Elektronik spielt. Am 21.12.2023. führten die Sängerin Cansu Tanrikulu und Nick Dunston am Kontrabass den Zyklus "derializiös" auf, den der Dichter Nail Doğan und der Komponist Cenk Ergün konzipiert haben. Das Stück "Disparitions - Encounters at the Lismonian Archive" für Stimmen und präpariertes Klavier, von der Dichterin Cia Rinne und der Komponistin Catalina Rueda, wurde ebenfalls am 21.12.2023 von der Sängerin Johanna Vargas, der Pianistin Magdalena Cerezo und der Dichterin in Rezitation aufgeführt. Boussa Thiam hat beide Premierenkonzerte wunderbar moderiert.
Links über Vocations:
Vocations auf der Website von Haus für Poesie:
https://www.haus-fuer-poesie.org/de/literaturwerkstatt-berlin/vocations/
Pressemitteilungen auf der Website von Haus für Poesie:
https://www.haus-fuer-poesie.org/de/presse/pressemitteilungen/vocations-eine-mehrsprachige-transdisziplinaere-neuerfindung-des-kunstliedes-berlin
Presse:
Diario y Radio Universidad de Chile Kultur: Chilenische Künstler betreten die Bühne in Berlin (20.10.2023):
https://radio.uchile.cl/2023/10/20/artistas-chilenos-se-toman-la-escena-en-berlin/
Radio Beethoven, P. Universidad Católica de Chile:
https://www.beethovenfm.cl/recomendado/victor-gutierrez-estrena-el-ciclo-de-canciones-animita-en-berlin/
Desbandada Magazin, Berlin (14.11.2023):
https://revistadesbandada.com/2023/11/14/vocations/
Tipp Berlin: Vocations Salon | Akademie der Künste Hanseatenweg:
https://www.tip-berlin.de/event/musik+konzert/1465.2577837180/
Die Tatsache, dass Schreiben eine szenische Dimension entwickeln kann und dass öffentliche Dichterlesungen eine besondere Art von Dramaturgie erfordern, war mir schon früh klar, wahrscheinlich weil ich dank der Schauspielkarriere meines Vaters mit Theaterproben und Premieren aufgewachsen bin. Neben der Teilnahme an internationalen Festivals, auf denen ich als Autor meine Gedichte vortrage, habe ich lange Zeit als künstlerische Leiterin von Literaturveranstaltungen in Chile und Deutschland gearbeitet.
A
Im Jahr 2009 konzipierte und leitete ich eine Reihe von performativen Lesungen in Santiago, Chile, in einem dynamischen Raum namens Estudio Elefante. In dieser Veranstaltungsreihe, die ich La fertilidad de algunos muertos ("Die Fruchtbarkeit einiger Verstorbener") nannte, huldigten junge Dichter den verstorbenen Dichtern. Jede Veranstaltung konzentrierte sich darauf, das Werk neuer Dichter mit dem eines oder mehrerer verstorbener Dichter in einen Dialog zu bringen, unabhängig von Sprache oder Land. Die performativen Lesungen beleuchteten die Themen literarischer Einfluss und Übersetzung. Die Dramaturgie, zu der auch Live-Musik gehörte, betonte das Multidisziplinäre. Es wurde Dichtern wie Paul Celan, William Blake, Allen Ginsberg und anderen gehuldigt. Chilenische Dichter:innen wie Javier Bello, Alejandra del Río, Carmen García und andere nahmen teil.
A
Nach mehreren Jahren des Nomadentums habe ich 2015 in Hamburg das internationale Autor:innenkollektiv Found in Translation (bestehend aus Nefeli Kavouras, Hugh James, Jonis Hartmann, Annika Dörau und anderen) mitbegründet. Die Plattform des Kollektivs für literarischen Aktivismus war die Hafenlesung: eine mehrsprachige und oft auch multidisziplinäre Lesereihe, die in Hamburg ein neues, meist junges Publikum für internationale zeitgenössische Literatur erschloss. Das Programm förderte die Heterogenität und präsentierte Autor:innen aus einem breiten Spektrum von Genres, Identitäten und Generationen. Mit dem Schwerpunkt auf Mehrsprachigkeit wurden bei jeder Veranstaltung Werke in vier bis fünf verschiedenen Sprachen präsentiert (wenn nicht auf Deutsch, auch mit der Übersetzung). Unser Kollektiv Found in Translation hat diese Lesereihe als Plattform entwickelt, um die kulturelle Vielfalt Hamburgs zu repräsentieren und zu kultivieren, einer Hafenstadt, die seit Jahrhunderten ein Ort ist, an dem sich viele Sprachen und Kulturen überschneiden. Die Hafenlesung war somit ein Ort der Resonanz für Literatur, die in Deutschland in anderen Sprachen als Deutsch geschrieben wurde, wobei die Übersetzung als wichtiger kultureller Prozess hervorgehoben und versucht wurde, das Konzept der "Nationalliteratur" neu zu definieren.
Die Hafenlesung organisierte Lesungen in Zusammenarbeit mit deutschen unabhängigen Verlagen wie dem Verlagshaus Berlin, Kookbooks, Edition Nautilus und dem Salis Verlag. Die Hafenlesung organisierte auch Veranstaltungen in Zusammenarbeit mit Institutionen wie dem Berliner Künstlerprogramm des DAAD, dem Festival LATINALE, dem Cervantes-Institut Hamburg und dem Literaturzentrum Burg-Hülshoff. Wir haben auch neue, eigens für unsere Veranstaltungen in Auftrag gegebene deutsche Übersetzungen der Werke ausländischer, in Deutschland ansässiger Dichter uraufgeführt, deren Lyrik bis dahin nicht auf Deutsch verfügbar war (wie Rita González Hesaynes, Luis Varela und andere). Wir legten auch Wert darauf, dass die Übersetzer, wann immer möglich, neben den Autoren auf der Bühne lasen. Darüber hinaus wurde bei jeder Veranstaltung kostenlos ein köstliches veganes Catering serviert, das für eine gute Atmosphäre sorgte und Publikum und Künstler zusammenbrachte.
Autor:innen aus mehr als 30 Ländern und 20 Sprachen nahmen an der Hafenlesung teil. Unsere Veranstaltungsorte waren zunächst das Club und alternative Kulturzentrum Golem und später das Nachtasyl am Thalia Theater in Hamburg. Im Jahr 2017 brachte unser Kollektiv das Konzept der Hafenlesung durch eine performative Lesung im Rahmen des internationalen Literaturfestivals BuchBasel ein. 2018 wurde die Hafenlesung Teil der Unabhängigen Lesereihen, zu deren Vorstandsmitglied ich später gewählt wurde. Im Jahr 2019 nahm die Hafenlesung an ULF - Das Festival der Unabhängigen Lesereihen (aus Deutschland, Österreich und der Schweiz) teil. In den Jahren 2015-22 wurde die Hafenlesung von der Behörde für Kultur und Medien Hamburg, der Hamburgischen Kulturstiftung, dem Slowenischen Kulturzentrum Berlin, dem Hamburger Writers' Room, dem DAAD und Frau Annegret Weitkämper-Krug unterstützt.
Links über die Hafenlesung:
Found in Translation Autorenkollektiv, Facebook-Seite:
www.facebook.com/foundintrans
Auf der Website von Unabhängige Lesereihen:
https://www.lesereihen.org/reihen-hafenlesung
Hafen Lesung im Burg-Hülshoff-Literaturzentrum, Münster:
http://www.burg-huelshoff.de/blog/hafen-lesung
Hafen Lesung in der Zeitschrift UNISCENE, Deutschland:
https://issuu.com/uniscene/docs/uniscene_hamburg_4-2016
Stéphanie Divaret über Hafen Lesung in BuchBasel, in FixPoetry:
https://www.fixpoetry.com/feuilleton/kolumnen/2017/hafenlesung-in-basel
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Als Mitglied des internationalen Autor:innenkollektivs Found in Translation habe ich 2021 Westopia, Festival für eine mehrsprachige Literatur der Zukunft im Center for Literature Burg Hülshoff (Münster) mitorganisiert. Das Festival wurde von unserem Autor:innenkollektiv und Jörg Albrecht, dem künstlerischen Leiter des Center for Literature Burg Hülshoff, kuratiert.
Fünf Tage lang, im September 2021, organisierte das Westopia Festival Lesungen, Performances, Workshops und Debatten. Indem wir uns austauschten, diskutierten und schufen, versuchten wir, eine imaginäre Nation (a “State of Mind”) zu entwerfen, die den Fragen und Unterdrückungen, mit denen wir als ausländische Autor:innen, die in Deutschland in anderen Sprachen als Deutsch schreiben, konfrontiert sind, Resonanz und Relevanz verleihen würde.
Auf meinen Vorschlag hin wurde die Dramaturgie des Festivals um eine Auswahl von Einträgen aus einem meiner Lieblingswörterbücher aufgebaut: dem Dictionary of Untranslatables (herausgegeben von Barbara Cassin, Emily Apter et al). Die Themen und ihre Beschreibung lauteten wie folgt:
- DOXA: Wer denkt was? Wer wird nicht gesehen, wer wird gehört, wer wird ausgeschlossen?
- TRADUIRE: Was geht bei der Übersetzung verloren, was wird gefunden, wie übersetzen wir physische und emotionale Aspekte sowie die Mündlichkeit, was wäre ein unübersetzbarer Text?
- AUFHEBUNG: Wer weiß, wie das Ergebnis aussehen wird? Welche Zukunft wird aus unserer Erinnerung erwachsen? Wie unterschiedlich sind die Lernkulturen in Ost- und Westeuropa? Können Erinnerungskulturen aus verschiedenen Regionen der Welt voneinander lernen?
- DESENGAÑO: Kann Kunst mit der Kraft der (Ent-)Täuschung und der Magie der Worte Ungerechtigkeiten entgegenwirken? Wie kann man über das sprechen, worüber fast alle schweigen: Klassenunterschiede?
- CONSENSUS: Was bedeuten Sexualität und Sexismus im literarischen Kontext? Wer tritt in den Vordergrund, wer bleibt auf der Strecke?
- COMMON SENSE: Wie kann Literatur inklusiv sein? Was bedeutet es, blind zu sein und zu schreiben?
An Westopia nahmen Verena Brakonier & Greta Granderath Çakey Blond (Thomas Bartling & David Kilinç), Belo Cipriani, Andrés Claro, ConstructLab, Fitzgerald & Rimini, KAJET Journal, KUOKO, Michaela Melián, Alia Trabucco, Zweitzeugen e.V., WORD Magazin, und viele mehr teil.
Links über Westopia:
Auf der Website des Literaturzentrums, Burg Hülshoff:
https://www.burg-huelshoff.de/programm/kalender/westopia
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Im Jahr 2022 schlug ich Katharina Schultens, der Leiterin des Hauses für Poesie, das Projekt Vocations vor, konzipiert als Erkundung von Fragen wie "Was kann ein Lied heute bedeuten?", "Wie kann die europäische Kunstliedtradition aus einer jungen, internationalen Perspektive und von Künstlern, die an den Grenzen von Poesie und Musik arbeiten, neu konzipiert werden?" zu untersuchen. Das Projekt, das gemeinsam mit Katharina Schultens als Zusammenarbeit zwischen dem Haus für Poesie, der Jünge Akademie der Künste und Schloss Wiepersdorf neu konzipiert wurde, wurde großzügig vom Berliner Kultursenat gefördert. Der andere Leiter des Projekts, der für die Produktion verantwortlich war, war der großartige Timo Berger. Während des Jahres 2023 schufen Teams von speziell ausgewählten Dichtern, Komponisten und Musikern gemeinsam neue Werke. Vocations etablierte zwei parallele Veranstaltungsreihen: Salons und Premierenkonzerte.
Mit dem Ziel, einen verbindenden Raum in Berlin zu schaffen, der einen transdisziplinären Dialog zwischen der zeitgenössischen künstlerischen Produktion der neuen Poesie und der neuen Musik ermöglicht, initiierte Vocations eine Reihe von Salons, die Komponisten, Dichter, Kritiker und Studenten der Literatur, der Komposition, des Klaviers und des Gesangs sowie andere Liebhaber von Poesie und Musik zusammenbrachten. Durch Lesungen, Aufführungen und musikalische Darbietungen, die ein breites Spektrum möglicher Fusionen zwischen Poesie und Musik aufzeigten, boten diese Salons einen Ort und einen Moment der Verbindung für Dichter und Komponisten, um sich gegenseitig bewusst zu machen, was heute in Berlin geschrieben und komponiert wird. Unsere Motivation war die Gewissheit, dass die Beziehung und die gegenseitige Aktualisierung zwischen den heutigen Dichter- und Komponistengemeinschaften einen großen positiven Einfluss auf beide Arten von Schöpfern haben würde und dass Berlin der richtige Ort war, um dies zu ermöglichen.
Die Salons der Berufe wurden durch das klassische griechische Konzept des Symposiums und auch durch das soziale Phänomen der "Schubertiade" inspiriert, das aus der Salonkultur des 19. Jahrhunderts hervorgegangen ist. Im Einklang mit der Absicht des Projekts, das Genre des Kunstlieds neu zu konzipieren, bezog sich unser Projekt auf Schubert nicht nur als Komponist, sondern auch als entscheidende kulturelle Figur im Zusammenhang mit dem Salonformat. Ohne diesen ikonischen Komponisten wäre das Kunstlied-Genre nicht denkbar. Schubert komponierte seine Lieder auf Texte von Dichtern, die seine Zeitgenossen waren, Dichter, die er dank der damals lebendigen Salonkultur persönlich kennenlernen konnte. Jahrhunderte sind vergangen; die musikalische Gattung des Kunstliedes hat überlebt, aber ihr Dialog mit der zeitgenössischen Poesie hat sich abgeschwächt. In Berlin trafen sich Komponisten und Dichter immer wieder in literarischen Salons und Soirées, wo sie gemeinsam Werke schufen und über ihr Schaffen diskutierten. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden diese Räume der künstlerischen Zusammenarbeit, insbesondere in der Tradition des Kunstliedes, unterbrochen und nur in Einzelfällen wieder aufgenommen. Unserer Meinung nach bietet die internationale Zusammensetzung des heutigen Berlins ideale Bedingungen für die Entwicklung einer Veranstaltungsreihe, die Komponisten und Dichter aus einer Vielzahl von Traditionen und Sprachen zusammenbringen kann, damit sie gemeinsam neue Werke schaffen und aufführen können, die die Verschmelzung von Poesie und gelehrter Musik neu beleuchten und aktualisieren.
Das Salonformat Vocations ist als offener Raum konzipiert und integriert überraschende Auftritte von Schriftstellern, Komponisten und Musikern aus der Berliner Szene im Rahmen eines von mir sorgfältig kuratierten Programms. Mit Unterstützung der Jungen Akademie der Künste organisierte Vocations zwei Salons im Clubraum der Akademie der Künste (Hanseatenweg), in denen Werke von ADK-geförderten Komponisten (u.a. Aribert Reimann, Luciano Berio und Georges Aperghis) und jungen Künstlern, die an dem Projekt teilnahmen, aufgeführt wurden. Mit dem Ziel, die Salons als offenen Raum für spontane künstlerische Zusammenarbeit und transdisziplinäre künstlerische Experimente zu erhalten, entwickelte unser Team dieses Salonformat als "work in progress" und berücksichtigte dabei stets die Vorschläge der teilnehmenden Künstler. Die Vocations Salons präsentierten eine breite Palette von Kombinationsmöglichkeiten zwischen Text und Musik, von Arrangements von Gedichtliedern von Komponisten, die heute als Klassiker der Moderne gelten können, bis hin zu experimentellen Fusionen und Kollisionen von Poesie mit populärer Musik und Volksliedern, vorgetragen von jungen Dichtern und Musikern. In dem Bestreben, die multikulturelle und mehrsprachige Dimension der heutigen Berliner Kunstszene zu repräsentieren und zu kultivieren, waren in jedem unserer Salons mindestens 5 verschiedene Sprachen vertreten, wobei die Gedichte oft in der (nicht-deutschen) Originalsprache zusammen mit ihrer Übersetzung gelesen wurden. Beide Salons wurden von einer wunderbaren und lustigen professionellen Moderatorin, der Drag Queen Audrey Naline, geleitet, deren Offenheit und Verspieltheit den Veranstaltungen einen Hauch von Kabarett verlieh. Jeder Salon zog ein Publikum von 150 oder mehr Personen an.
Beim ersten Salon am 23.10.09 traten die Dichter und Komponisten Avrina Prabala-Joslin (geb. 1992 in Tamil Nadu) und Sol-i So (geb. 1990 in Südkorea) sowie VictorPiano (geb. 1991 in Chile) und Felipe Sáez Riquelme (geb. 1986 in Chile) auf, die parallel dazu neue experimentelle Kunstlieder entwickelten, die dann Ende Oktober im Heimathafen Neukölln uraufgeführt wurden. Die Komponistin und Sängerin Sol-i So führte Pansori Simcheongga auf, ein Lied aus der koreanischen Musiktradition, begleitet von dem Perkussionisten Bo-Sung Kim. Die Dichter Avrina Prabala-Joslin und Felipe Sáez Riquelme gaben eine gemeinsame Leseperformance mit elektroakustischen Interventionen und der Multimedia-Komponist VictorPiano sang eine Auswahl lateinamerikanischer Volkslieder. Im Rahmen unserer Zusammenarbeit mit der ADK wurden im Rahmen des Salons auch Werke von Mitgliedern der Akademie der Künste aufgeführt: und Sequenza III des italienischen Komponisten Luciano Berio (gesungen von Svetlana Mamresheva) und Retrouvailles (2013) des griechisch-französischen Komponisten Georges Aperghis (aufgeführt von Cécile Madelin und Marine Madelin). Darüber hinaus bot der Salon als Zeichen unseres offenen Formats überraschende Lesungen und musikalische Darbietungen von den Dichtern Max Czollek, Kinga Toth, Matias Dungascik und Odile Kennel, den Sängern Andrew Munn und Merit Ariane Stephanos, dem Pianisten Jacob Greenberg und vielen anderen.
Der zweite Salon am 16.11.23 bot Auftritte und Lesungen des zweiten Teams von Künstlern, die an Vocations teilnehmen: Cia Rinne, Catalina Rueda und Nail Doğan, deren neue experimentelle Kunstlieder, die in künstlerischer Zusammenarbeit entstanden sind, dann im Dezember uraufgeführt wurden. Die Dichterin Cia Rinne sang in Begleitung von Daniel Roth am Harmonium. Die Komponistin Catalina Rueda lud das Publikum zu einer partizipativen Gesangsperformance ein. Der Autor Nail Doğan las eine dramaturgische Sequenz von Gedichten, die speziell für diesen Anlass geschrieben wurden, im Dialog mit der Oud-Musik, die von dem talentierten blinden Musiker Hicham El Madkouri gespielt wurde. Im Rahmen unserer Zusammenarbeit mit der ADK präsentierte der Salon Aribert Reimanns Eingedunkelt (nach Gedichten von Paul Celan), vorgetragen von Ursula Hesse von den Steinen. Andrew Munn sang Bearbeitungen von Liedern von Hans Eisler auf Gedichte von Bertolt Brecht, begleitet von Marlene Weiss am Klavier. Die Singer-Songwriterin Susie Asado erweiterte das Spektrum der Darbietungen, die Text und Musik vereinen. Sie sang minimalistische Lieder, die mit den Grenzen zwischen populärer Musik und Poesie spielten. Die Veranstaltung bestand einmal mehr auf dem Format der Salons als offenem Raum und bot überraschende Lesungen und musikalische Darbietungen der Dichter Donna Stonecipher, Hn Lyonga, Irina Bondas, Eugene Ostashevsky und Ricardo Domeneck, der Sänger Clarisse Fougera und Monika Krukierek und anderer.
Bei den Premierenkonzerten von Vocations wurden Werke von Dichtern und Komponisten uraufgeführt, die speziell für das Projekt in Auftrag gegeben wurden. Im Rahmen einer Kooperation zwischen dem Haus für Poesie und der Kulturstiftung Schloss Wiepersdorf trafen sich die teilnehmenden Künstler während eines Künstleraufenthalts auf Schloss Wiepersdorf (Brandenburg), wo sie begannen, die künstlerische Produktion des jeweils anderen zu erkunden. Es folgte eine monatelange Korrespondenz und Zusammenarbeit. Wie für das Genre des Kunstliedes charakteristisch, kombinierten die Werke, die bei den Konzerten am Ende des Jahres uraufgeführt werden sollten, Poesie und Musik. Das Besondere an unserem Projekt ist, dass diese Werke von Anfang an transdisziplinär konzipiert wurden, d.h. ohne einen vorher existierenden Text. Diese Herangehensweise an die Tradition des Kunstliedes, bei der es sich nicht um eine musikalische Bearbeitung eines vorhergehenden Textes handelt, sondern um eine besondere Form der Ko-Kreation, war ein charakteristischer Vorschlag von Vocations. Die Uraufführungen fanden im Heimathafen Neukölln am 26.10. und 21.12.2023 statt.
Als künstlerische Leiter von Vocations habe ich die teilnehmenden Dichter- und Komponist:innen entsprechend ihrer künstlerischen Affinität und Sprachgemeinschaft zusammengebracht. Die Interpreten für die Uraufführungen der Auftragswerke wurden von den Komponisten selbst ausgewählt: Sol-i So und Avrina Prabala-Joslin wählten die Sopranistin Angelica Luz und die Perkussionistin Rie Watanabe für die Weltpremiere ihres gemeinsamen Werks "With you, I learned to plant a poem, grow a song" am 26.10.2023. Das Gemeinschaftswerk "Animita" von VictorPiano und Felipe Sáez Riquelme wird, ebenfalls am 26.10., vom Komponisten selbst uraufgeführt, der zusammen mit dem Tenor Francisco Huerta live Elektronik spielt. Am 21.12.2023. führten die Sängerin Cansu Tanrikulu und Nick Dunston am Kontrabass den Zyklus "derializiös" auf, den der Dichter Nail Doğan und der Komponist Cenk Ergün konzipiert haben. Das Stück "Disparitions - Encounters at the Lismonian Archive" für Stimmen und präpariertes Klavier, von der Dichterin Cia Rinne und der Komponistin Catalina Rueda, wurde ebenfalls am 21.12.2023 von der Sängerin Johanna Vargas, der Pianistin Magdalena Cerezo und der Dichterin in Rezitation aufgeführt. Boussa Thiam hat beide Premierenkonzerte wunderbar moderiert.
Links über Vocations:
Vocations auf der Website von Haus für Poesie:
https://www.haus-fuer-poesie.org/de/literaturwerkstatt-berlin/vocations/
Pressemitteilungen auf der Website von Haus für Poesie:
https://www.haus-fuer-poesie.org/de/presse/pressemitteilungen/vocations-eine-mehrsprachige-transdisziplinaere-neuerfindung-des-kunstliedes-berlin
Presse:
Diario y Radio Universidad de Chile Kultur: Chilenische Künstler betreten die Bühne in Berlin (20.10.2023):
https://radio.uchile.cl/2023/10/20/artistas-chilenos-se-toman-la-escena-en-berlin/
Radio Beethoven, P. Universidad Católica de Chile:
https://www.beethovenfm.cl/recomendado/victor-gutierrez-estrena-el-ciclo-de-canciones-animita-en-berlin/
Desbandada Magazin, Berlin (14.11.2023):
https://revistadesbandada.com/2023/11/14/vocations/
Tipp Berlin: Vocations Salon | Akademie der Künste Hanseatenweg:
https://www.tip-berlin.de/event/musik+konzert/1465.2577837180/